Richard Wagner "in Händen" der Blasmusiker?

Szenenwechsel: Jihočeská und ihre Interpretation

Es dürfte manchen aufgefallen sein, dass sich Blaskapellen nicht allzu selten  in einer vom Publikum angeheizten Atmosphäre verreißen lassen. Dies führt dazu, dass Musiker in der Folge manche Stücke nach IHREM "augenblicklichen Befinden" zu interpretieren beginnen. Die Situation: 12 Musiker "am Werk", Komponist hin, Komponist her, das Publikum hat gezahlt, das Publikum will "Äkschn".  Welche Stücke eignen sich für derartige Schows am Besten? Jaaa, BINGO! Freilich die Bekanntesten, noch besser die mit dem Hymnen-Charakter.

Die Rede ist von Jihočeská polka. Seit geraumer Zeit verfolge ich das vielfältige Angebot an Interpretationen. Den letzten Motivationstoß, mich darüber in einem Beitrag zu äußern, bekam ich unlängst, als ich mich durch den Video-Salat eines bekannten "Auch-Wir-Sind-Dort"-Repository durchwühlte.

Jihočeská polka wurde von Ladislav Kubeš Sen. komponiert (s.a. einen Beitrag von mir). Ladislav Kubeš Vater war mit allen seinen Sinnen und Kräften bemüht, die südböhmische Mentalität, die schlichte Schönheit der Landschaft, die Harmonie des einfachen Lebens, das heitere Gemüt und den Anstand der Leute,  all das in diese musikalische Perle des böhmischen Südens behutsam, nach einem sorgsamen Abwägen, Note für Note, einfließen zu lassen. Macht sich von den Musikern überhaupt jemand Gedanken darüber? Ist es - wie man in Österreich sagt - "eh alles Wurscht"? Wo bleibt die Hochachtung vor dem Komponisten und seinem Werk?

Ladislav Kubeš (Mitte)

Ich führe hier zwei Interpretationsweisen einander gegenüber, damit sich jeder Zuhörer selbst ein Bild machen kann. In tontechnischer Hinsicht gibt es natürlich einen Unterschied, dass mich aber hier bei meinen Betrachtungen nicht weiter beschäftigt. Die eine Tonaufnahme ist mit einfacher technischer Ausrüstung im "Feld" gemacht worden, die andere im Tonstudio. Die Tonstudio-Aufnahme stammt von der Blaskapelle Veselka unter der Leitung von Ladislav Kubeš Sohn, die sich auf der CD 49 1038-2 (Dem Vater) "ZUM ANDENKEN" (Tatínkovi na památku) befindet. Die Aufnahme verwende ich hier als einen zweifelsohne gesicherten Bezugspunkt.

Jihočeská - BK Veselka	Jihočeská - "Feldaufnahme"

Die "Feldaufnahme" wurde von einem Fan während eines im Sommer des vorigen Jahres in der Slowakei stattfindenden "Meister"-Blasmusiktreffens angefertigt und ist öffentlich zugänglich. Auch einem nicht sonderlich aufmerksamen Zuhörer dürfte nicht entgehen, dass die "Feldaufnahme" haufenweise Töne und Einwürfe von fast allen Instrumenten enthält, die in der Partitur von Jihočeská mit Sicherheit keine notierte Entsprechung haben, vom Komponisten nicht vorgesehene Tempoänderungen etc. Stimmung machen? Show aufziehen? Instrumentenprofilierung? Komponist "Wurscht"? Und das alles "meisterhaft"? Ganz schön weit "homa´s brocht" ... allerdings WEG von einer gepflegten böhmischen Blasmusik. Und das alles diesmal auch ohne Brathüner und Bier wie man es in dieser Kombination keinesfalls selten antrifft..

BK Veselka

Der pure Zufall spielt mir manchmal voll in die Hände. Während ich diese Zeilen schreibe, erreicht mich die Nachricht, dass Ladislav Kubeš Sen. mit seiner Blaskapelle Veselka am 18. Februar 2011 in der Sendung WERNESGÜNER MUSIKANTENSCHENKE im deutschen MDR-Fernsehen erscheint. Es kann gar nicht anders kommen, als Ladislav Kubes Jun.  - schon dem Vater zuliebe - die Runde für Feinschmecker der böhmischen Blasmusik mit Jihočeská eröffnet. Somit hätte ich mir hier die Referenz auch beinahe ersparen können.

Abschließend eine Anregung von mir: Es sollte doch auch Komponisten geben, die ihre Werke überhaupt als einen ungefähren, groben Noten-Raster anbieten. Natürlich mit neuen Notation-Hinweisen. Neue Bemerkungen folgender Art würden dringend auf die Notenpulte gehören: Hier "schlampig, kein klarer Ton" oder "Nur mäßig ernst zu nehmen", dort "wie´s euch einfällt" oder alternativ  "Tuba, Posaune: prominenter Wettkampf, wer stärker", "4. Trompete: Bitte an dieser Stelle schreckliche Pause, unbedingt auf sich aufmerksam machen" etc. Die bisher gebräuchliche Notation - hier Andante un pocco Maestoso, dort Staccato, Adagio, Largo etc. sollten vermutlich gänzlich abgestellt werden. Sie wirken auf die augenblickliche musikalische Eingebung eines Instrumentalisten evident sehr hemmend. Für ein derartiges Werk fiele mir bereits auch ein durchaus passender Name ein: "Kanalgitter im Mondschein", ein Werk für nicht ganze 3 Trompeten und einen zehnköpfigen WZH-Rest" (WZH - Wer Zeit Hat).