Schweizer Emmentaler in der Beurteilung der Spanier oder auch Was ist böhmisch mährische Blasmusik?
Antonín Sprinzl
Übersetzung meines Artikels aus dem Tschechischen mit dem Originalitel"Švýcarský Emmentál posuzován Španěly aneb ´Co je česko - moravská dechovka?"
veröffentlicht im Bulletin der Vereinigung der Blasmusikorchester der Tschechischen Republik
Naše Muzika (Unsere Musik), Nr. 4/2006
Eine kritische Betrachtung der sogn. Europäischen Meisterschaft in der BM-Blasmusik
Unlängst vernahm ich, dass die kommerziell orientierten, erfinderischen Spanier nach einer gründlichen Marktuntersuchung neue Geschäftschancen entdeckt hätten. Und zwar ein sehr interessantes Segment, vor allem auch in medialer Hinsicht verwertbar, das bis Dato den anderen innerhalb der EU irgendwie nicht aufgefallen ist. Sie fanden nämlich heraus, dass sie eine Institution gründen könnten, die sich mit der Qualitätsbewertung des Schweizer Emmentalers befassen würde, wie allgemein bekannt eines Qualitätskäse, dessen Ursprung sein an die Bezeichnung eng geknüpftes Eigenschaftswort bereits unmissverständlich verrät. Sie riefen daher kurzerhand die "Europäische Meisterschaft in Schweizer Emmentaler" ins Leben, in dessen Rahmen sie sich vornahmen, die Qualität dieses einmaligen Produktes genau zu prüfen und zu bewerten. Kurz um darüber zu befinden, wer und wer nicht in der Europäischen Union am Besten (erster Platz), wer "weniger gut" (weitere Plätze) es vermag, dieses einmalige, von Feinschmeckern allgemein anerkannte Leckerbissen zu erzeugen. Die Schweizer, die meiner Beobachtung nach den "Bauernverstand" besonders schätzen und von diesem stets ausgehen, fanden es nicht nötig, über diese Kuriosität ihrer nationalen Identität ein Wort zu verlieren. Schlichtweg wissen sie, dass Leute wissen.
Eine sehr ähnliche Situation entstand, als einige erfinderischen Köpfe wiederum eine neue Marktlücke entdeckten. Diese Herrn stellten fest, dass in der EU da und dort zwar unterschiedliche Meisterschaften stattfinden, bei denen in der Regel "eindimensional" (Punktesystem) bestimmt wird, "wer was ist bzw. nicht mehr", aber eine "Europäische Meisterschaft in der böhmisch-mährischen Blasmusik" entdeckte doch noch niemand. Und so, was für eine tolle Entdeckung, rief eine derartige "Meisterschaft" direkt nach einer Entstehung. So gedacht, so getan. Sie entstand also, irgendwo in der Fremde, außerhalb des Gebietes, das die böhmisch-mährische Blasmusik ihre Heimat nennt. In den Vordergrund der Bemühungen dieser "Institution" schlich sich nun das Bestreben hinein, zu bewerten und beurteilen, was ursprüngliche, echte (erster Platz), was aber "weniger echte" böhmisch-mährische Blasmusik wirklich ausmacht.
Wenn Sie einen Mährer mit einem Hang für Blasmusik aus dem Hodoniner Gebiet, von mir auch liebevoll das Epizentrum der mährischen Blasmusik genannt, fragen, "was ist mährische Blasmusik?", so bekommen Sie eine schlichte Antwort: "Na spiel was vor:-)". Seine Beurteilung ist nicht analytisch, in Dimensionen, qualifiziert in Punkten. Er nimmt gefühlsmäßig wahr und berücksichtigt eine erstaunliche Fülle von Details in ihrer ganzen Komplexität, die augenblicklich "bewertet" werden. Dazu zählen nicht nur eine spezifische Komposition eines der Heimatautoren, aber in der Regel auch die Textbegleitung, die, gemeinsam mit der Komposition ein harmonisches, nahtloses Ganzes darstellen. Es ist aber auch die Art der Gesangsdarbietung, die die Kompositionswirkung entscheidend potenzieren und ihr einen tiefen Ausdruck einprägen kann. Selbstverständlich ist auch die künstlerische Interpretation der Blaskapelle von enormer Bedeutung. Die Textkomponente aber, die oft Bilder und Inhalte aus dem Alltag transportiert, die Liebe zur Natur, zum Mitmenschen, die Liebe zur Heimat, spielt in der böhmisch-mährischen Blasmusik eine außergewöhnliche Rolle, sie verleiht der Darbietung die Aussagekraft. Man kann sagen, dass gerade dieses Trio - Musik, Text, Gesang - unsere Blasmusik direkt charakterisiert.
Ich habe große Achtung von meinen lieben Freunden Vladimír Salčák aus Veselí nad Moravou und Slávek Smišovský aus Uherský Ostroh (beide Orte unweit von Hodonín), von denen ich aus zahlreichen Gesprächen weiß, mit welcher Verantwortung, klar wissend für welchen Zuhörer sie schreiben, zur Wahl ihrer Worte und Symbolbilder bei ihrer Schaffung immer schon schritten. Nicht selten gingen manchen spezifischen Begriffen, Metafern bzw. Redewendungen lange Nächte der Untersuchung und inhaltlicher Prüfung voraus. Stets immer waren beide in dieser Hinsicht unbarmherzig zu sich selbst und nahmen ihr "Handwerk" unglaublich ernst, stets über die Bedeutung der gebotenen musikalischen Bilder sich im Klaren zu sein.
Warum erwähne ich es an dieser Stelle? Der Grund liegt auf der Hand. Wer sonst ist wirklich qualifiziert die böhmisch-mährische Blasmusik in ihrer vollen Breite zu beurteilen, als Menschen, die dieses Entstehungs- und Heimatumfeld der Blasmusik bis ins Detail kennen und mit Fug und Recht deshalb darüber befinden können, wer die böhmisch-mährische Blasmusik in ihrer Reichhaltigkeit wirklich "meisterhaft beherrscht"?. Es können nur Menschen sein, die die Kenntnis über die heimatliche Umgebung dieser musikalischen Gattung über alle Zweifel erhaben besitzen, die die Mentalität des Zuhörers kennen, seine Sprache, sein Dialekt, die unzähligen örtlichen Gegebenheiten, die in der böhmisch-mährischen Blasmusik oft große Stellung einnehmen sowie einer Reihe sonstiger Umstände. Nur solche Menschen sind meines Erachtens in der Lage, die Echtheit und Tiefe des Ausdrucks, die Qualität und die "Meisterschaft" der musikalischen Darbietung zu beurteilen.
Zum Schluss muss ich gestehen, dass ich aus typographischen Gründen nur die böhmisch-mährische Blasmusik erwähnte. Richtig sollte es heißen böhmisch-mährisch-slowakische Blasmusik, Es ist lang, nicht wahr? Bloßes Stückchen von Hodonín, hinter der "neuen" Grenze, haben wir unsere lieben Freunde, die zu uns gehören und unsere Blasmusik perfekt verstehen und daher auch spielen. In der Zukunft werde ich mir deshalb den bereits erwähnten, kürzeren Begriff "unsere Blasmusik" zurechtlegen, in Anlehnung an die Bezeichnung dieses Bulletins "unsere Musik", das Sie, geschätzte Leser gerade in der Hand halten. Antonín Sprinzl, Wien
Ein kurzer Nachsatz für den deutsprachigen Leser:
Für mich persönlich hat die Teilnahme von Tschecharanka aus Burgenland am Goldenen Flügelhorn 2006, wo diese Formation ein außergewöhnliches Ergebnis in der "Heimatarena der böhmisch-mährischen Blasmusik" erzielte, ein viel größeres Gewicht als manch konstruierter Titel mit ausgeblichenen kommerziellen Maschen.
Um falsche Verknüpfungen nicht aufkommen zu lassen, mich verbindet mit Tschecharanka rein gar nichts, mit Ausnahme der Liebe zur böhmisch-mährischen Blasmusik. So ein fähiger Mann wie Thomas (Bandleader) braucht gar keine sogn. "Manager".